A N R E G E N D E   E N T L A D U N G E N

Oskar Fahr

 

Es trifft sich gut, daß Barbara Koxholt die Zen-Malerei überhaupt nicht kennt, den freien, von Spontaneität gelenkten Stil, wo der Künstler in wenigen Minuten hoher Konzentration ein kleinformatiges monochromes Bild mit Tusche schafft, das dann keine Veränderung mehr zuläßt, keine ,pentimenti': Was steht, das steht.

So wird man auch nicht an Abhängigkeit denken dürfen, wenn sie, meist unter Erzielung tonaler Abstufungen, mit Graphit, mit Kohle oder in Mischtechnik - d.h. bei Nutzung zusätzlich von Öl, Lack und Farbstift - ihre gegenstandslosen Zeichnungen in kurzen Fristen hinschreibt, oft mehrere an einem Tag, spürbar aus der Motorik des Körpers heraus und, noch tiefer, aus dem Unbewußten. Auf diese Weise entstehen die Serien und Werkblöcke, die charakteristisch für sie sind.

Die Fähigkeit zu raschem Arbeiten kommt ihr zugute, wenn sie in Performances transitorische Zeichnungen auf die Folie an einem Tageslicht-Projektor bringt: Sie dreht die Kurbel und das Bild entschwindet.

Barbara Koxholts Stil ist explosiv - noch einmal: wie in der Zen-Malerei - , auf Expressivität gestellt. Die Nachbarschaft zu der ,zerrissenen Tusche' eines Sesshu (1420 - 1506) ist nicht angestrebt, aber vorhanden, wenn auf dem Blatt die in die Fläche, die in den Raum ausgreifende Tendenz ausbalanciert wird durch Verdichtungen, wenn die Auflösung ins Gleichgewicht gebracht wird durch Kerne, die zentrifugale Bewegung durch zentripetale: Diese Innovationen sind Organismen, deren Tentakel den Bildrand unangetastet lassen.

Nervosität oder subtile Kraft? Es gibt in der Kunst keine anregenden Entladungen, die nicht aus dem Zentrum einer Persönlichkeit kämen. Die Impromptus und Aperçus von Koxholt erweisen, was auch in unserem Jahrzehnt ungegenständliche Bildkunst - die gibt es freilich nicht im klassischen Fernen Osten - zu leisten vermag. Die Künstlerin könnte das Zeug in sich tragen, auf ihre ganz eigene Weise Meditationsbilder hervorzubringen. Es ist viel geheimes Leben in diesen Zeichnungen.

Die Erinnerung an den Gegenstand tritt phasenweise in Erscheinung, etwa mit Leiterstrukturen. In manchen Sequenzen neuerer Zeichnungen scheinen sich die Umrisse raumhafter Objekte aus der Zweidimensionalität des Bildträgers zu Skulpturen befreien zu wollen. Es war der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin, der durch die Epochen hindurch belegt hat, daß der zeichnerische, der konturengebende Stil der plastische ist.

Es trifft sich gut, daß Koxholt mit den Möglichkeiten chinesischer oder japanischer Kalligraphie überhaupt nicht vertraut ist. Doch es könnte sein, daß sie mit ihrem Potential auf dem Weg ist zu Ideogrammen einer eigenen Sprache, die sich als Gegenstände hineinstellen in die endlosen Weiten einer gegenstandslosen Welt.

Oskar Fahr