Tief im Wald

Julia Breithaupt

 

Kohlenmeiler tief im Wald sind der Ausgangspunkt einer bildnerischen und skulpturalen Auseinandersetzung von Barbara Koxholt. Aus ihren Arbeiten spricht eine Faszination der Arbeit an einem geradezu archaisch anmutenden Ort der Arbeit.
Inmitten einer Zeit hoher Zivilisation des 20. und 21. Jahrhunderts stößt Barbara Koxholt auf die Holzkohlengewinnung im Wald, die so abläuft wie in vergangenen Zeiten. Es gibt mehrere Ebenen der Betrachtung: sowohl der Gegenstand selbst, der Ort als auch der Prozess der Wandlung.

Wie Hügel muten Kohlenmeiler an, kunstvoll im Inneren geschichtet und außen abgedeckt. Größere Äste stützen gelegentlich die äußere Form, daran lehnt eine Leiter für den Köhler, der den Verkohlungsprozeß, die Luftzufuhr des Meilers, kontrollieren muß. So sieht der Meiler wie ein kleiner Vulkan aus, in dem ein langsamer Brennprozeß, angezeigt durch die Rauchwolken, das Holz zu Holzkohle verwandelt.

Der Ort des Geschehens ist der tiefe Wald. Keiner wird von dem aufsteigenden Rauch belästigt. Ein entfernter und einsamer Ort. Nimmt man diesen Ort in seiner Bedeutung als Metapher auf, so gewinnt das Ganze eine neue Bedeutung. Im Märchen und der Sage ist der tiefe Wald das Symbol der Abgeschiedenheit, an dem es unheimliche Begegnungen gibt, sei es mit Riesen oder sonstigen Wesen, die der Normalität des Alltagslebens entrückt sind. Tiefenpsychologische Deutungen sprechen von einer Konfrontation mit verborgenen Seiten des Selbst. Der Rückzug in die Einsamkeit befördert die Abseiten des eigenen Inneren ans Licht.

Die Konfrontation kann erschreckend sein, bedeutet aber auch ein zentrales Thema im Leben, die der Wandlung. Sie bedeutet eine notwendige Umformung, aus dem der oder diejenige als eine geläuterte und mit neuer Orientierung versehene Person hervorgeht.
Dieser doppelten Sinnbildhaftigkeit begegnen wir mit dem Bildmotiv des Meilers: die Umwandlung des Holzes zu Holzkohle an dem Ort tief im Wald, als dem einsamen Ort, an dem ungestört Wandlung geschehen kann.
Barbara Koxholt nimmt einen weiteren Prozeß der bildnerischen Veränderung vor: einzelne Formen, vom Meiler, von der Leiter aufgenommen, werden als sich verselbständigende Formen weiterbearbeitet. Sie werden zu selbständigen Bildzeichen, die sich von dem ursprünglichen Gegenstand lösen. Dazu wird die Sicht verändert: eine extreme Nahsicht, statt einer Fernsicht, die den gesamten Gegenstand Meiler erkennbar werden läßt. Die Nahsicht gibt nicht mehr Aufschluß über Details oder Beschaffenheit, sondern macht fremd - eine Paradoxie. Gewöhnlich sind wir der Ansicht, daß das "unter die Lupe nehmen" mehr Verstehen des gemeinten Gegenstandes möglich macht.
Nein. Das Gegenteil ist der Fall: eine neue Verrätselung wird präsentiert. Hier fängt ein neuer künstlerischer Bearbeitungsprozeß an. Barbara Koxholt entwickelt Skulpturen mit einer zarten Haut, charakterisiert durch Spuren der Bearbeitung, Unregelmäßigkeiten, Falten und Materialeigenheiten.

Julia Breithaupt

aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung "Bezeichnungen" Berns, Florian, Koxholt in der städtischen Galerie Kaarst 2001